Verkehrspsychologie: Wie gute Entscheidungen im Straßenverkehr entstehen

Autofahren verlangt permanente Aufmerksamkeit − und die Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen zu entscheiden. Verkehrssituationen ändern sich oft blitzschnell: Ein Kind läuft auf die Straße, ein Fahrzeug bremst abrupt oder ein Radfahrer wird im toten Winkel übersehen.
In solchen Momenten reicht theoretisches Wissen über Verkehrsregeln nicht aus. Entscheidend ist, wie rasch und angemessen auf komplexe Reize reagiert wird.
Zwischen Wahrnehmung und Handlung
Der Weg von einem äußeren Reiz zur Handlung führt im Gehirn über mehrere kognitive Prozesse: Wahrnehmung, Interpretation, Bewertung und Entscheidung.
Dieser Ablauf wird wiederum von zahlreichen Faktoren beeinflusst – unter anderem durch Stress, Ablenkung, Müdigkeit oder Überforderung. Die Bundesanstalt für Straßenwesen stellte fest, dass rund 75 Prozent der Unfallbeteiligten angaben, die Situation vor dem Unfall falsch eingeschätzt zu haben. Solche Fehleinschätzungen entstehen nicht willkürlich. Sie folgen häufig schnell erkennbaren Mustern.
Die Verkehrspsychologie zeigt: Diese Prozesse lassen sich durch ein gezieltes Training optimieren. Diejenigen, welche die typischen Denkfehler kennen, können sie frühzeitig vermeiden.
Verkehrskundeunterricht als Basis
Ein zentrales Element der Fahrausbildung in der Schweiz stellt der Verkehrskundeunterricht, kurz VKU, dar. In der Schweiz ist dieser verpflichtend für alle Fahrschüler.
Beispielsweise vermittelt der VKU Zürich fundiertes Wissen, auch über die menschlichen Faktoren im Straßenverkehr, wie die Aufmerksamkeit, eventuelle Wahrnehmungsverzerrungen, die Reaktionszeiten und das persönliche Risikobewusstsein. Verfolgt wird damit das Ziel, angehenden Verkehrsteilnehmenden nicht nur die Regeln, sondern auch die nötige Selbstreflexion zu vermitteln.
Im Unterricht werden reale Gefahrensituationen analysiert, Verhaltensmuster hinterfragt und Strategien für vorausschauendes Fahren erarbeitet. Diese Herangehensweise fördert ein tieferes Verständnis dafür, wie und warum Fehler überhaupt entstehen – und natürlich auch, wie sie vermieden werden können.
Emotionen als Risikofaktor
Neben kognitiven Aspekten beeinflussen vor allem auch emotionale Zustände das Fahrverhalten.
Wut, Angst oder Zeitdruck führen besonders häufig zu impulsiven Reaktionen und einer eingeschränkten Wahrnehmung. Der sogenannte Tunnelblick sorgt dafür, dass das Sichtfeld verengt wird. Dadurch werden wichtige Informationen am Rand übersehen. Studien zeigen, dass auch emotionale Erregung die Reaktionszeit verlängert und die Fehlerquote hinter dem Steuer deutlich erhöht.
Daher rückt die Frage nach emotionaler Selbstregulation stärker in den Fokus. Methoden wie mentales Training, bewusste Atemtechniken oder der gezielte Umgang mit Stressfaktoren helfen dabei, auch in schwierigen Situationen klar zu denken. Besonders hilfreich ist es, sich vor jedem Fahrtantritt bewusst zu machen, in welcher psychischen Verfassung man sich gerade befindet – und gegebenenfalls noch ein wenig zu warten, bis sich die Gefühle beruhigt haben.
Routine und Aufmerksamkeit im Gleichgewicht
Mit wachsender Fahrerfahrung entstehen Routinen, durch welche die Abläufe automatisiert und kognitive Entlastung geschaffen werden. Doch diese Routinen können auch nachlässig machen. Wer gedanklich abschweift oder Aufgaben wie Navigieren und Telefonieren gleichzeitig erledigt, reduziert seine Reaktionsfähigkeit erheblich.
Moderne Fahrerassistenzsysteme sollen hier unterstützend wirken. Sie ersetzen jedoch keine bewusste Aufmerksamkeit. Die Fähigkeit, Situationen richtig zu interpretieren und angemessen zu handeln, bleibt zentral. Ein systematisches Training dieser Fähigkeiten ist möglich – und im Sinne aller Verkehrsteilnehmenden dringend ratsam.
Lernen endet nicht mit der Prüfung
Verkehrssicherheit entsteht nicht durch einmaliges Lernen, sondern durch eine kontinuierliche Reflexion. Die Erkenntnisse der Verkehrspsychologie bieten dafür eine äußerst wertvolle Grundlage. Sie helfen, das eigene Verhalten besser zu verstehen, Risiken frühzeitig zu erkennen und Entscheidungen unter Druck zu verbessern.
Gerade angesichts der steigenden Verkehrsdichte, der zunehmenden digitalen Ablenkungen und veränderter Mobilitätsformen wird dieser Aspekt immer relevanter. Wer bereit ist, regelmäßig dazuzulernen, erhöht nicht nur die eigene Sicherheit, sondern trägt zu einem verantwortungsbewussteren Straßenverkehr bei.
Mehr Lesen: Joanna Jambor



